Wege aus der Krise I: Was kann jeder einzelne tun?

Goldener Einkaufswagen

Um nachhaltige, ernsthafte Wege aus der Krise zu beschreiten, sollen im folgenden drei konkrete Schritte vorgestellt werden, mit denen jeder Einzelne von uns über einen Bewusstseinswandelprozess zu einer krisenfesteren, besseren und sozialeren Gesellschaft beitragen kann, anstatt auf die kosmetischen Maßnahmen seitens der Politiker und führender Wirtschaftsvertreter zu vertrauen.

1. Verantwortlicher Umgang mit Kapital und Zinsen

Von Geld kann man nicht leben

Ein weit verbreitetes Vorurteil in unserer Gesellschaft lautet, dass Geld „arbeitet“ bzw. dass man von Geld leben kann. Ein Beispiel zur Verdeutlichung: Angenommen jemand habe 1 Mio. Euro geerbt oder anderweitig bekommen und erhalte hierfür 5 % Zinsen pro Jahr, so bekommt er 50.000 Euro pro Jahr. Er beschließt, die Arbeit einzustellen und von den Zinsen zu leben. Nun könnte man auf dem Standpunkt stehen, man lebe von diesen 50.000 Euro pro Jahr. Vordergründig stimmt dies auch, bei genauerem Nachdenken jedoch nicht.
Alles, wovon man konkret lebt, was man konkret von den Zinsen kauft, etwa Nahrung, Kleidung, das Haus, in dem man wohnt usw., alles muss von anderen Menschen erarbeitet werden. Selbst die effizientesten Maschinen müssen von Menschen ersonnen, gebaut, installiert, bedient, gewartet usw. werden. Ohne menschliche Arbeitskraft geschieht keine Produktion. Real, in Wirklichkeit, lebt man nicht von Geld oder Zinsen, sondern immer von der Arbeit anderer Menschen.

Geld kann nicht arbeiten

Geld ist bei uns ein Machtinstrument, um über Güter und menschliche Arbeitskraft zu verfügen.
Je mehr Zins, Dividende etc. jeder einzelne bei seiner Geldanlage verlangt und erhält, desto mehr müssen andere Menschen für ihn arbeiten, denn desto mehr muss der Kreditnehmer arbeiten und umso teurer werden die mit diesem hoch verzinsten Kapital hergestellten Güter für uns alle. Wenn einzelne Menschen oder Personengruppen höhere Zinsen oder Dividenden erzielen als das nominale Wachstum des Sozialproduktes ist, heißt dies, dass real andere Menschen weniger Güter als zuvor haben müssen.
Um zu einem verantwortungsvollen Umgang mit Kapital und Zinsen zu kommen, kann man sich fragen: Was macht die Bank oder Versicherung oder der Fonds, dem man sein Geld anvertraut mit dem Geld? Wie und wo und zu welchen Konditionen wird es angelegt?
Es kann ein Bewusstseinswandel bei jedem einzelnen von uns hin zu mehr sozialer Verantwortung und Rücksichtnahme eingeleitet werden, wenn man sich die Tatsache bewusst macht:

Von Geld kann man nicht leben, man lebt immer von der Arbeit anderer Menschen.

2. Anspruchsdenken, Rechte und Pflichten

Erziehung und Medien fördern in starkem Maße Anspruchsdenken und egoistisches Verhalten
Wenn alle in der Gesellschaft immer nur daran denken, was einem zusteht, welche Ansprüche und Rechte man hat, wenn alle immer nehmen wollen und niemand geben, so entsteht daraus zwangsweise langfristig ein Konflikt um den verfügbaren Güterberg. Man denke an die Steuerehrlichkeit in Deutschland oder an die starke Inanspruchnahme von für den einzelnen Nutzer scheinbar „kostenlosen“ Gesundheitsdienstleistungen oder manchen Sozialleistungen. „Kostenlos“ heißt in diesem Falle, dass die anderen abgeben bzw. zahlen müssen.
Jeder einzelne von uns kann hier einen Bewusstseinswandel hin zu mehr sozialem Verhalten und Rücksichtnahme einleiten, indem man sich folgende Aussage immer wieder vor Augen führt:

Alles, was ich von der Gemeinschaft in Anspruch nehme, alles was ich durch Arbeitsleistung beitragen könnte und nicht beitrage, verteuert das Leben für alle anderen.

3. Unnötige Produkte und unnötige Arbeit vermeiden

Robinson und Leidensgenossen auf einer einsamen Insel

Angenommen, Robinson würde mit vier weiteren Leidensgenossen auf eine einsame Insel verschlagen. Er selbst übernehme das Angeln, ein anderer das Herstellen von Kleidung und Schuhen, der Dritte bestelle die Felder und der Vierte sorge für Hausbau und Haushalt. Der Fünfte übernähme die Aufgabe, für jeden der vier anderen bei den jeweils drei anderen Marketing und Werbung zu machen. Wie viel trägt der Fünfte zum Wohle aller bei?
Eines der Grundaxiome in der gängigen Ökonomielehre besagt, dass es unnötige Produkte bzw. unnötige Arbeit auf Dauer in einer Marktwirtschaft nicht geben kann, da die Marktkräfte diese mittel- bzw. langfristig eliminieren. [1] Dies ist jedoch falsch. Es gibt dauerhaft eine Fülle derartiger Produkte bzw. unnötiger Arbeit in unserem Lande. Die Konsequenzen daraus für die Wirtschaftspolitik sowie unser Alltagsleben sind erheblich. Was ist unnötige Arbeit bzw. unnötige Produktion? Z.B. Bücher oder Zeitschriften, die hergestellt aber nicht gelesen werden. Die in die Herstellung ungelesener Bücher oder Zeitschriften gesteckte menschliche Intelligenz und der Arbeitsfleiß könnte erspart werden. Was bedeutet unnötige Arbeit für die Gesamtwirtschaft?
Erste Auswirkung: Verteuerung der Lebenshaltung bzw. der lebensnotwendigen Güter
Wenn menschliche Arbeit, Fleiß und Intelligenz statt in nicht gelesene Bücher z.B. in die Produktion von Lebensmitteln, Kleidung oder Häusern gesteckt würde, gäbe es davon mehr und damit würden sich Lebensmittel, Kleidung und Wohnen für alle verbilligen.

Beispiel: Erster Weltkrieg

Was geschieht, wenn Millionen von jungen Männern vom Staat ausgeschickt werden, um Löcher zu graben und diese anschließend wieder zuzuschütten? Es müsste zunächst ein enormer Konjunkturboom einsetzen, der aber letztlich für das betroffene Land keine Wohlstandsmehrung bringt.
Genau dies war während des Ersten Weltkrieges z.B. in Deutschland der Fall. 1914 setzte ein enormer konjunktureller Aufschwung ein. Während des Krieges herrschte Übervollbeschäftigung, Mangel an Arbeitskräften und die Rüstungsindustrie kam mit der Produktion kaum hinterher. [2]
Was war das Ergebnis für das Land? Not, Leid und Elend für große Teile der betroffenen Bevölkerung, weil menschliche, tierische, maschinelle und natürliche Ressourcen aus der zivilen Produktion abgezogen und in die Kriegswirtschaft bzw. an die Front gesteckt wurden. [3]

Beispiel: Werbung

Es gibt in Deutschland wenige Branchen, in denen weitgehendes Werbeverbot herrscht, z.B. bei Heilberufen wie Ärzten, Tierärzten, Therapeuten, bei Rechtsanwälten, Steuerberatern oder Architekten. Was würde geschehen, wenn dieses überregionale Werbeverbot aufgehoben oder gelockert würde? Für einzelne, zum Beispiel neu in den Markt eintretende Tierärzte, Rechtsanwälte oder Architekten wäre es individuell rational, zu werben. Sie würden mit Werbung beginnen, einige der etablierten Konkurrenten müssten aus Sorge vor Marktanteilsverlusten nachziehen und so dürften die Werbeausgaben in diesen Branchen, gemessen am heutigen Werbebudget, deutlich ansteigen.

Was wären die Folgen für die Allgemeinheit?

  1. Durch die gestiegenen Werbeausgaben werden die Heilerfolge, die Rechts- oder Steuerberatung und die Architekturleistungen nicht besser.
  2. Wer zahlt die zusätzlichen Werbeausgaben? Die erhöhten Werbeausgaben müssten auf die einzelnen erbrachten Leistungen umgelegt werden: Arztrechnungen, Architekturhonorare, Anwaltsgebühren würden teurer, da der einzelne Arzt, Architekt oder Anwalt die gestiegenen Werbeausgaben auf den von ihm verlangten Preis umlegen muss.

Im Ergebnis würde das Leben für fast alle Bürger teurer, aber nicht besser. Es entstünde ein realer Schaden für die Menschen, da sie nun weniger von ihrem Einkommen für andere Zwecke zur Verfügung haben. Eine Aufhebung oder Einschränkung des Werbeverbotes für diese Branchen wäre kollektiv irrational, auch wenn es individuell für einzelne Ärzte, Anwälte und Architekten sowie für die Werbebranche rational wäre.

Argumente: Kurzfristige versus langfristige Betrachtungsweise

Kurzfristige Betrachtungsweise: Die Werbebrache könnte für die Abschaffung der Werbeeinschränkungen in obigen Branchen wie folgt argumentieren: Durch die Abschaffung der Werbeeinschränkungen würden die Werbeausgaben im Land steigen, das führt zu vermehrter Nachfrage und damit zur Schaffung neuer Arbeitsplätze und Wirtschaftswachstum. Diese Argumentation ist nicht falsch, greift aber zu kurz, weil sie die Gedankenkette nicht zu Ende denkt.
Langfristige Betrachtungsweise: Was bedeuten zusätzliche Marketing-Arbeitsplätze für die Menschen? Mehr Fernseh- und Radiowerbespots, mehr Zeitungsinserate, mehr Plakate usw. Erhöht dies tatsächlich den Lebensstandard der Menschen? Eher im Gegenteil, viele Menschen fühlen sich durch Werbung eher belästigt.
Gerade wegen der Schaffung neuer Arbeitsplätze in einem Lebensbereich, der den Menschen real keine Verbesserung ihres Lebens bringt, sinkt langfristig der Lebensstandard im Land.

Konsequenzen für die Politik

Unter diesem Blickwinkel stellt sich die Frage, ob es nicht kollektiv rational und wirtschaftlich für ein Land sinnvoll wäre, Werbeeinschränkungen für diverse Branchen anzudenken, insbesondere für nicht oder wenig informative oder stark emotional geprägte überregionale Werbung.

Werbung und Pressefreiheit

Fast unsere gesamte Medienlandschaft befindet sich im Eigentum von Privatkapital, ein kleiner Teil in öffentlich- rechtlicher Hand. Was bedeutet es, wenn z.B. die Fernsehsender Pro 7, RTL, Sat 1 usw. sich in gewinnorientierter Privathand befinden? Die Eigentümer, z.B. die Aktionäre, erwarten auf ihr eingesetztes Kapital eine möglichst hohe Rendite. Deshalb werden die Fernsehprogramme unter Renditegesichtspunkten erstellt. Haupteinnahmequelle der privaten Sender sind Werbeeinnahmen. Die Fernsehinhalte müssen unter Ertragsgesichtspunkten, also in einer solchen Weise zusammengestellt werden, dass die Einschaltquoten so hoch wie möglich sind.
Die Fragestellung bei der Programmerstellung lautet also nicht: was ist gut, hilfreich, lebensfördernd, positiv für die Fernsehzuschauer, sondern: was zieht möglichst viele Menschen möglichst lange vor den Bildschirm. Denn dann können die Werbeminuten, für die die Industrie zahlt, am teuersten verkauft werden.

Welche Interessen, welcher Geist, bestimmt also, was z.B. unsere zweijährigen Kinder im Fernsehen ansehen?

Renditeinteressen. Es geht nicht um das Wohl der Kinder, für deren Entwicklung z.B. kreatives oder gemeinsames Spielen besser wäre als vor dem Bildschirm zu sitzen, sondern es geht darum, die Kinder so lange wie möglich an den Bildschirm zu binden, um möglichst hohe Einschaltquoten zu erringen und damit möglichst hohe Werbeeinnahmen und folglich Gewinne zu erzielen. Es geht also primär nicht um das Wohl der Menschen bei der Auswahl der Programme, sondern um Geldinteressen.
Nicht nur die privat- und zu einem guten Teil auch die öffentlich-rechtliche Fernseh- und Rundfunklandschaft, sondern auch praktisch die gesamte Presse ist in hohem Maße von Werbeeinnahmen abhängig. Im Durchschnitt der deutschen Zeitungen werden etwa „zwei Drittel der Umsätze im Zeitungsgeschäft mit Anzeigen und Werbung und ein Drittel mit dem Verkauf erzielt“. [4] Welche Folgen hat dies für die berichteten Inhalte?

Beispiel: Münchner „Togal“ – Werke

In den 1980er Jahren gab es in den münchner „Togal“- Werken, ein seinerzeit kleinerer Pharmaproduzent, einen umweltschädlichen Vorfall, der Greenpeace München bekannt wurde. Als Greenpeace München sich daraufhin an die „Süddeutsche Zeitung“ wandte mit der Bitte um Berichterstattung erhielt es die Antwort, Togal sei ein wichtiger Anzeigenkunde, man wolle von einem Bericht über den Vorfall Abstand nehmen. [5]
Durch die starke Abhängigkeit praktisch der gesamten Presse sowie Fernsehen und Rundfunk von Werbe- und Anzeigeneinnahmen ist eine kritische Berichterstattung über die Industrie nicht zu erwarten, da sich die Medien sonst von ihren wichtigsten Geldgebern abschneiden würden. Man kann davon ausgehen, dass beinahe die gesamte deutsche (und internationale) Presse und Medien tendenziöse Berichterstattung durchführen: Halb-, Dreiviertel- oder Neunzehntel-Wahrheiten zu Gunsten der Industrie bzw. der Werbe- und Anzeigengeldgeber. Negative Aspekte oder ernsthafte Kritik werden stillschweigend übergangen.
Die deutsche (und internationale) Presse- und Medienlandschaft ist weitestgehend industriefreundlich „gestreamlined“. Tiefergehende kritische Berichterstattung ist hier nicht zu erwarten. Dieser äußerst wichtige Teil unserer öffentlichen Meinungsbildung ist in Wirklichkeit nicht frei, sondern von Kommerzinteressen getrieben. Um die Pressefreiheit in unserem Lande (und in anderen Ländern) ist es nicht gut bestellt.

Weitere Beispiele

Angenommen, durch sinkende Ethik- Standards steigt die Kriminalität in einem Land. Angenommen, deshalb werden mehr Polizeipersonal, zusätzliche Security- Kräfte eingestellt und viele neue Überwachungskameras installiert.
Was geschieht ökonomisch auf den ersten Blick? Die Security- Branche floriert, die Unternehmen, die Überwachungskameras produzieren florieren und stellen neue Arbeitskräfte ein: neue Arbeitsplätze werden geschaffen, die Wirtschaft scheint zu wachsen. Was geschieht jedoch real? Durch das zusätzliche Polizei- und Security- Personal wird gegenüber der ursprünglichen Situation mit der niedrigen Kriminalitätsrate kein Vorteil für die Menschen geschaffen, ebenso wenig durch die neu installierten Überwachungskameras.

Wer bezahlt die zusätzlichen Arbeitsplätze und Überwachungskameras tatsächlich?

Z.B. alle Arbeitnehmer in Form real sinkender Löhne: a) Entweder die Steuern steigen, um zusätzliche Polizisten einzustellen; b) Und/oder: diejenigen Produkte, für die das Security-Personal und die Überwachungskameras eingesetzt werden verteuern sich. Dadurch sinkt die reale Kaufkraft der Löhne. Werden z.B. in U-Bahnen oder Supermärkten mehr Überwachungskameras installiert, verteuern sich die U-Bahn- Fahrkarten oder die in den Supermärkten angebotenen Waren, weil die Kosten für die Überwachung auf die Produktpreise aufgeschlagen werden müssen.
Wenn Arbeitskräfte aus Wohlstand schaffenden Branchen in solche abgezogen werden, die keinen Wohlstand schaffen, bzw. die „unnötig“ sind, vermindert sich – bei gleich bleibender Stundenproduktivität – die real zur Verfügung stehende Gütermenge für alle. Das heißt alle Menschen werden auf Grund der im Zuge der gesunkenen Ethik- Standards bzw. der gestiegenen Kriminalitätsrate entstandenen zusätzlichen Arbeitsplätze langfristig gesehen ein wenig ärmer als ohne die zusätzlichen Arbeitsplätze.

Zweite Auswirkung: Sinnlosigkeit, Arbeitsunlust, Demotivierung

Fast jeder Mensch, der in einer Branche oder einer Firma arbeitet, die unnötige Güter herstellt, fühlt, wenn auch möglicherweise nicht bewusst, so doch tief im Inneren, dass er sinnlose Produkte herstellt. Ein drastisches Beispiel hierfür wäre die Arbeit in der Produktion von Landminen. Wenn jemand, der in dieser Branche arbeitet, Bilder von verstümmelten Kindern in Afrika mit nur einem Bein sieht, so weiß er, wenn er ehrlich ist, dass er „Unnötiges“, in diesem Falle sogar massiv Menschenschädigendes hergestellt hat.
Es kann sich jeder abends vor dem Einschlafen die Frage vorlegen: habe ich heute Sinnvolles für meine Mitmenschen geleistet? Habe ich zum Wohle meiner Mitmenschen beigetragen? Auch wenn man sich diese Fragen abends nicht stellt: Tief im Inneren spüren es wohl viele Menschen, wenn sie Unnötiges oder gar Schädliches herstellen. Dies dürfte im Normalfall zu Arbeitsunlust, Demotivierung, steigenden Krankenständen, Zunahmen von Streiks etc. führen. Laut Umfragen ist weit mehr als die Hälfte der deutschen Arbeitnehmer mit ihrem Arbeitsplatz unzufrieden. [6]

Ein Lösungsansatz

Kein Angebot ohne Nachfrage

Jeder einzelne Mensch kann in seiner Funktion als Verbraucher sich die Frage vorlegen: Wo kann ich auf Unnötiges verzichten? Dabei braucht man nicht nur an Güter denken, sondern kann alle Arten von Ressourcenverbrauch, also auch z.B. Autofahrten etc. einbeziehen.

Je mehr Menschen auf Unnötiges verzichten, desto höher wird der reale Lebensstandard im Lande langfristig: Unnötige Produktionen würden allmählich abnehmen und damit würde das Leben aller auf Dauer billiger.

Fazit

Die Produktion unnötiger Güter verteuert alle nötigen Güter und unterminiert langfristig die Arbeitsmoral. Dies könnte erklären, warum in Deutschland, obwohl es eines der reichsten Länder der Erde ist, immer mehr Menschen den Eindruck haben, mit ihrem Geld nicht auszukommen. Kein Wunder: wenn immer mehr unnötige Produkte hergestellt werden, wird das Leben für viele unerschwinglich teuer, da wertvolle Arbeitskraft, Fleiß, Energie und Intelligenz in unnötige Produkte verschwendet wird und daher an anderer, sinnvoller Stelle fehlt.
Eine Abhilfe gegen unnötige Produktion ist der Verzicht von Verbrauchern auf Unnötiges. Wenn mehr und mehr Menschen auf Unnötiges verzichten, würde langfristig die Lebensqualität im Lande steigen. Da jeder Mensch individuell unterschiedliche Bedürfnisse hat, mag jeder Leser selbst darüber nachdenken, welche Güter, Branchen, Lebensbereiche in seinen Augen unnötig sein könnten. Stichworte hierfür könnten sein: Luxusgüterindustrien, „Sin Industries“ (Alkohol, Tabak, Glücksspiel, Sexindustrie etc.), diverse Medienprodukte und Computerspiele, Teile der Verkehrsindustrie, diverse umweltschädliche Güter, Rüstungsindustrie, Produkte mit sog. „Soll-Bruchstellen“, Wegwerfprodukte etc. Auch ein Blick auf unsere (Sperr-)Müllberge bzw. unsere vielen weggeworfenen Lebensmittel könnte Anregungen zum Nachdenken geben. Nach Einschätzung des Autors könnte gut die Hälfte aller in Deutschland geleisteten Erwerbsarbeit „unnötig“ sein.

Was würde ökonomisch betrachtet geschehen?

Was würde ökonomisch betrachtet geschehen, wenn wir auf einen Teil unserer unnötigen Produkte bzw. unnötige Arbeit verzichten würden? In einer Übergangsphase würde die rein rechnerisch in Form der offiziellen BIP- Berechnung ausgewiesene Wirtschaftsleistung sinken und Arbeitsplätze in den betroffenen Branchen zurückgehen.
Mittel- und langfristig könnte die unnötige, nun wegfallende Arbeit dafür verwendet werden, entweder sinnvollere Erwerbsarbeit zu tätigen. In diesem Fall würde unser aller realer, materieller Lebensstandard steigen. Oder die ersparte unnötige Arbeit könnte verwendet werden z.B. zu mehr ehrenamtlicher Tätigkeit, Zeit für die Familie oder mehr Freizeit, so dass auch hierdurch der reale Lebensstandard mittelfristig zunehmen würde.
Gerade in Zeiten gesellschaftlicher und sozialer Krisen, wie sie uns bevorstehen, kann über einen Bewusstseinsprozess eine Rückbesinnung darauf stattfinden zu fragen: Wie wollen wir wirklich leben? Ein Verzicht auch nur auf einen Teil von unnötiger Produktion und unnötiger Arbeit könnte gerade in Krisenzeiten mit schrumpfenden Realeinkommen unseren wahren Wohlstand mehren und uns die Krise besser überwinden helfen. Ein Bewusstseinswandel in Richtung von mehr Rücksichtnahme und sozialem Verhalten kann mit der Frage beginnen: Wo kann ich auf Unnötiges verzichten?

Quellenangaben

  1. Vgl. Bofinger, S.101: „In einer Marktwirtschaft wird die Produktion vorrangig über die Nachfrage gesteuert.“ Dies impliziert, dass nicht nachgefragte Güter in einer Marktwirtschaft auch nicht produziert, d.h. nicht existieren können. Ähnlich Samuelson/ Nordhaus, S. 79: „Es handelt sich hierbei um die Theorie von Angebot und Nachfrage. Diese Theorie zeigt uns, dass die Präferenzen der Konsumenten für die Güternachfrage verantwortlich sind…“. Die Begriffe „unnötige Güter“, „unnötige Produktion“ oder „unnötige Arbeit“ kommen in diesen beiden, zu den führenden deutschen VWL- Lehrbüchern gehörenden Darstellungen nicht vor.
  2. Vgl. Hardach, S. 17-26
  3. Vgl. Henning, S.32-58
  4. Bundesverband deutscher Zeitungsverleger, 27.8.2009: Bei Gesamteinnahmen der deutschen Tageszeitungen von 9,09 Mrd. Euro 2009 betrug allein der Werbeumsatz 4,37 Mrd. Euro.
  5. Der Autor war seinerzeit aktives Mitglied bei Greenpeace München und hat diesen Vorfall selbst miterlebt.
  6. „Die Welt“ 8.5.2008, Frust am Arbeitsplatz: Die meisten Deutschen sind vom Job genervt. Demnach ging nur noch jeder achte Deutsche, 12%, motiviert und engagiert an seine Arbeit; die Mehrheit, 64%, der Beschäftigten „spule am Arbeitsplatz ein Pflichtprogramm ab, so das Arbeitsklima-Barometer 2008 des Ifak- Instituts in Taunusstein.“

Literatur

  • Bofinger, Peter, Grundzüge der Volkswirtschaftslehre Eine Einführung in die Wissenschaft von Märkten, München 2007
  • Bundesverband deutscher Zeitungsverleger (Hg.), Anja Pasquay, Zur Lage der Zeitungen in Deutschland 2009, vom 27.8.2009, www.bzdv.de
  • Die Welt 8.5.2008, Frust am Arbeitsplatz: Die meisten Deutschen sind vom Job genervt, Welt online, www.welt.de
  • Hardach, Karl, Wirtschaftsgeschichte Deutschlands im 20 Jahrhundert, Göttingen 1979
  • Henning, Friedrich- Wilhelm, Das industrialisierte Deutschland 1914 bis 1978, Paderborn 1979 Abb. 5: Flachbildschirme in Mensen und Caferien an vielen unseren Hochschulen – sie “müssen” unbedingt sein, obwohl sie so gut wie niemand beachtet, (vor allem wenn der Ton auf “unhörbar” gestellt ist). Aus welchen Mitteln wurden diese Anschaffungen bezahlt? horizonte 36/ September 2010 – 41 –
  • Samuelson, Paul A. und Nordhaus, William D., Volkswirtschaftslehre, Landsberg 2005 (Original New York, 2005)

Kontakt

Prof. Dr. Christian Kreiß, Hochschule für Wirtschaft und Technik Aalen, Beethovenstr. 1, 73430 Aalen, E-mail: christian.kreiss(at)htw-aalen.de

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