Als im März 2004 bei einer Serie von Terroranschlägen in der spanischen Hauptstadt Madrid 192 Menschen getötet und 1400 verletzt wurden, erlangte drei Tage später der Führer der spanischen Sozialisten, Jose Luis Rodriguez Zapatero das Amt des Ministerpräsidenten. Nur 24 Stunden nach seiner Vereidigung, befahl Zapatero den schnellstmöglichen Rückzug spanischer Truppen aus dem Irak. Diese Anweisung war ein monumentaler politischer Erfolg für den extremistischen Islam, der die terroristische Anschlagsserie von Madrid als unmittelbare Folge dieser Entscheidung ansah.
Neue Hauptaufgaben
Seit dieser Zeit hat Europa kaum mehr Truppen außerhalb der Europäischen Union eingesetzt, um konkret den Dschihadismus zu bekämpfen. Stattdessen wird das Militär zunehmend dafür innerhalb der EU eingesetzt, um Gebäude und Zivilisten zu schützen. Eine dieser neuen großen Hauptaufgaben beispielsweise in Frankreich, läuft unter dem Namen „Operation Sentinelle“. Die französische Armee schützt nun Synagogen, Schulen, Museen, Ämter, Zeitungen, U-Bahn-Stationen und Sehenswürdigkeiten. Von allen französischen Soldaten, die momentan in Militäraktionen eingebunden sind, ist die Hälfte innerhalb Frankreichs im Einsatz. Ein großer Teil dieser Kräfte wird allein gebraucht, um 717 jüdische Schulen zu bewachen.
Auch in Italien gibt es ähnliche Zahlen. Etwa 11.000 Soldaten sind hier derzeit an militärischen Operationen beteiligt, davon mehr als die Hälfte im Inneren. Hier heißt die Maßnahme „sichere Straße“ und soll die Sicherheit in Italiens Großstädten gewährleisten. Ein weiterer Teil der italienischen Streitkräfte ist damit beschäftigt den Mittelmeerflüchtlingen Hilfe zu leisten.
Abkehr vor der Verantwortung
In der heutigen Zeit rennen Länder wie Italien und auch Spanien vor ihrer Verantwortung im Krieg gegen den islamistischen Terror davon. Eine Beteiligung an Aktionen gegen den „Islamischen Staat“ hat Italiens Verteidigungsministerin Roberta Pinotti ausgeschlossen, nachdem die EU-Verteidigungsminister einer französischen Aufforderung um Hilfe, nach den Pariser Anschlägen, zuvor noch geschlossen unterstützt hatten. So bieten italienische Soldaten in den Straßen von Rom zwar den Anschein von Sicherheit, doch die Tatsache, dass die Hälfte der italienischen Armee sich um die innere Sicherheit kümmert, statt offensive Militäraktionen durchzuführen, gibt Anlass zur Sorge. Die Zahlen werfen nicht nur ein Licht auf Europas innere Front im Kampf gegen den Terror, sondern beschreiben einen großen Rückzug Europas in eine defensive, verängstigte Haltung.
Schon als der scheidende US-Präsident Barack Obama mit dem Abzug der US-Truppen aus dem Nahen Osten prahlte und dieses als Vermächtnis seiner Präsidentschaft ansah, war dieses ein Hinausschleichen aus der Verantwortung. Der Abzug aus einem völlig strukturlosen und geschundenem Irak war einer der Hauptursachen für das Erstarken des Islamischen Staates und ein Grund dafür den Abzug aus Afghanistan zunächst wieder zu verschieben.
Europas Streitkräfte nicht für den Ernstfall bereit
In Europa sind die Armeen nicht einmal mehr für den Kriegsfall bereit. Die deutsche Bundeswehr ist nahezu nutzlos und die Bundesrepublik gibt lediglich 1,2 % des Bruttoinlandsproduktes für die Verteidigung aus. Die deutsche Armee hat die geringste Truppenstärke in der Geschichte, was zum einen sicher für eine zu begrüßende pazifistische Grundhaltung der deutschen Bevölkerung spricht, zum anderen aber den Anforderungen der heutigen Situationen nicht entspricht. Erst 2012 hatte das Bundesverfassungsgericht mit einem 67 Jahre alten Tabu gebrochen, das Inlandseinsätze deutscher Truppen verbot. Im Januar dieses Jahres kam an die Öffentlichkeit, dass die Aufklärungsflugzeuge der deutschen Luftwaffe nicht bei Nacht fliegen können. Jets, Transportflugzeuge, Hubschrauber, Gewehre – nur eine kleine Liste der nicht endenden Pannenserie bei der Beschaffung und Ausstattung der deutschen Bundeswehr.
Viele andere europäische Länder haben mit ähnlichen Problemen zu kämpfen, so auch Belgien mit seinem „gescheiterten“ Sicherheitsapparat. Sogar ein hochrangiger US-Geheimdienstoffizier verglich vor kurzem die belgischen Sicherheitskräfte mit „Kindern“, die Räuber und Gendarm spielen. Schwedens oberster Befehlshaber Sverker Göranson sagte, sein Land könne eine Invasion höchstens eine Woche abwehren.
Großbritannien nur noch „Klein-England“
Auch Großbritannien wird sowohl von seinen amerikanischen, als auch von den europäischen Verbündeten, seit über 10 Jahren, als eine im Abstieg befindliche Macht angesehen. Sich zunehmend nur noch auf seine inneren Angelegenheiten konzentrierend, werden die Briten vom einstigen Empire immer mehr zu einem Inselvolk, zu einem „Klein-England“. Die britischen Streitkräfte wurden in der Vergangenheit entsprechend geschrumpft und sollen bis zum Jahr 2020 auf etwa 82.000 Mann verkleinert werden. Das entspricht dem niedrigsten Stand seit den Napoleonischen Kriegen. Der frühere Kommandant der Royal Navy, Admiral Nigel Essenigh, sprach dabei von „unangenehmen Ähnlichkeiten“ zwischen dem Zustand der britischen Landesverteidigung heute und dem in den frühen 1930er Jahren.
Demografischer Selbstmord
Natürlich haben sich die Zeiten geändert. Kaum ein junger Mensch würde heute in einen bewaffneten Konflikt ziehen, um seine Familie oder die nächste Generation zu beschützen, besonders dann nicht, wenn diese Generation gar nicht mehr vorhanden ist. Die europäischen Geburtenraten sprechen diesbezüglich eine deutliche Sprache. So weist Spanien die niedrigste Rate aller westeuropäischen Länder in den letzten 20 Jahren auf und in Italien gab es im Jahr 2015 weniger Geburten als zu irgendeinem Zeitpunkt seit der Staatsgründung vor 154 Jahren. In Deutschland gibt es seit längerer Zeit einen demografischen Selbstmord.
Der massive Einsatz von Streitkräften in Europas Städten ist beispiellos in der Geschichte. Neben der militärischen Abrüstung findet auch eine moralische Abrüstung statt. Europa erlebt strukturhafte Erscheinungen aus Zeiten der „Weimarer Republik“, die den Aufstieg von nationalistischen Kräften auf dramatische Weise begünstigte. Heute noch steht diese Zeit für ein kulturelles Durcheinander, eine Art Lehrbeispiel für eine wehrlose Demokratie, die sich einem verstümmelten Pazifismus ergab, einer Mischung aus naiver Kultur, politischem Reformismus und dem ersten hochentwickelten Wohlfahrtsstaat. Wenn der Historiker Walter Laqueur sagt, „Weimar war der erste Fall vom Leben und Sterben einer freizügigen Gesellschaft“, dann müssen wir uns heute fragen, ob Europa wieder zu Fall gebracht wird – von den Europäern selbst oder von den Islamisten?
Quellen
Le Monde, Figaro, Guardian, NATO, United Nations, Veterans Today, Il Foglio (Giulio Meotti, The Great Western Retreat), Wikipedia
Bild: © Claude Truong-Ngoc [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons, Eurocorps prise d’armes de fin de mission en Afghanistan, place Broglie à Strasbourg 31 janvier 201, en présence de M. Pieter De Crem, ministre belge de la Défense, et de M. Kader Arif, ministre délégué auprès du ministre de la Défense, chargé des Anciens Combattants.