Steht uns ein neuer kalter Krieg bevor?
Die aktuellen Konflikte in der Ukraine und in Syrien lassen diese alte bekannte Frage in uns aufkommen: Wohin wird nun die Reise für die Menschheit gehen? Stehen wir mittlerweile vielleicht schon wieder kurz vor einem atomaren Krieg?
Hiroshima und Nagasaki stehen für den Beginn der atomaren Kriegsführung – oder für den Beginn unseres moralischen Erwachens….Die wissenschaftliche Revolution, die zur Möglichkeit der Kernspaltung geführt hat, verlangt auch eine moralische Revolution….Wir müssen den Mut finden, der Logik der Angst zu entrinnen…
So sagte es Obama in seiner Rede im Friedenspark von Hiroshima.
Als vor bald 71 Jahren, an einem hellen wolkenlosen Morgen, dort der nukleare Tod vom Himmel fiel, war die Welt nicht mehr dieselbe. Wie Albert Einstein es danach so treffend kommentierte:
“Die Menschheit ist nun nicht mehr unsterblich.”
Das Vermächtnis von Michail Gorbatschow
Nach der Auflösung des Ostblocks gab es weltweit die Hoffnung auf eine friedliche Zukunft: Die ehemalige Feindschaft zwischen den Militärblöcken könnte sich nun in einen Geist des Vertrauens und der Kooperation verwandeln. Genau dies war die Vision von Michail Gorbatschow gewesen.
Das Ende des Kalten Kriegs war eine Wende der Geschichte, mit der damals niemand gerechnet hatte.
Die Geschichte ohne Michail Gorbatschow, ohne seine Politik von Glasnost und Perestroika und ohne seinen Willen zum Frieden, wäre mit Sicherheit ganz und gar anders verlaufen. Diese Entwicklung war damals auch eine einzigartige Chance, für die nicht nur Deutschland und Europa, sondern für die die ganze Menschheit hätte dankbarer sein können. Leider haben sich die Dinge nicht in diese Richtung entwickelt.
Denn es ist mittlerweile schon wieder zu einer solchen Entfremdung und Spannung zwischen dem westlichen Europa und Russland gekommen, dass heute, 25 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, wieder von einem „Zurück in den Kalten Krieg“ gesprochen wird.
Warum hätte der Auftritt von Michail Gorbatschow damals denn nicht der entscheidende Schritt dafür sein können, die Menschheit endgültig vom Damoklesschwert der atomaren Selbstvernichtung zu befreien?
Aus dieser Sicht wäre das Ende des Kalten Kriegs nicht länger der Triumph der einen und die große Niederlage der anderen Seite. Sondern vor allem ein Sieg der Vernunft und des guten Willens.
Michail Gorbatschows überzeugtes Denken und Handeln war, dass die Angst von der Erde zu verschwinden habe, wenn für den Menschen eine Hoffnung auf Zukunft bleiben solle. Denn das Schicksal der Menschheit wird tatsächlich davon abhängen, ob sie ein Bewusstsein dafür entwickelt, dass macht- und angstgetriebener technologischer Fortschritt ihren Untergang bedeuten muss.
Der Weg vom Frieden wieder hin zum Krieg
Es ist von daher tragisch, in welchem Licht der Friedensnobelpreisträger Michail Gorbatschow heute gesehen wird. Diese ach so noble Münze ist für ihn heute sicherlich keinen Pfifferling mehr wert. Denn während er bei sich zuhause bei vielen als ein Verräter gilt, wird er bei uns nur als der Mann gesehen, der versucht hat, den Kommunismus zu reformieren um ihn wieder konkurrenzfähig zu machen. Der dabei aber – zum Glück für den Westen – gescheitert ist.
Der Blick hätte sich vielmehr darauf zu richten, dass der historische Verdienst von Michail Gorbatschow darin liegt, mit den totalitären Strukturen in seinem Land gebrochen zu haben, um daraufhin den Kalten Krieg beenden zu können. Bei der Mehrheit unserer Historiker hat sich aber die Vorstellung ausgeprägt, dass die Sowjetunion wirtschaftlich am Ende war, und dass der Kreml den Untergang des Imperiums eben hinzunehmen hatte.
Russland wurde nach der Auflösung der Sowjetunion vom Westen nie wirklich als ein Partner, sondern im Grunde immer nur als eine Konkursmasse angesehen. Dazu ist zu sagen: Es wäre von größter Bedeutung, sich dessen bewusst zu werden, dass das Problem nicht so sehr darin liegt, dass man sich deswegen in Russland gekränkt oder beleidigt fühlt, sondern vielmehr darin, dass sich dort die Überzeugung festgesetzt hat, dass der Kalte Krieg für den Westen nie zu Ende gewesen ist. Es gilt sich darüber im Klaren zu werden, wie sehr sich in Russland die Vorstellung ausgeprägt hat, dass Michail Gorbatschow vom Westen dazu benutzt worden ist, den Ostblock aufzulösen. Jelzin dazu, die Sowjetunion auszuschalten. Und dass es nun auf der Agenda stehe, die Russische Förderation zu schwächen. In Russland ist dadurch ein Denken entstanden, das man als paranoid bezeichnen könnte: Die Vorstellung, die Gewissheit, dass es in der Welt keinen Platz für Schwäche gebe, und dass diejenigen, die nicht bereit zum Kämpfen seien, untergehen müssten.
Eine neue Friedensperspektive
Es wäre heute sicherlich ein Beitrag zum Frieden, herauszuarbeiten, dass die Vorstellung, die Sowjetunion sei in die Knie gezwungen worden, nur bedingt der historischen Wahrheit entspricht. Wenn sich der Blick vor allem darauf richten würde, dass das Ende des Kalten Kriegs nicht der Triumph der Aufrüstung, sondern dass er ein Sieg der Vernunft und des guten Willens gewesen ist, dann würde dies einen substanziellen Neuanfang in dem so schwierig gewordenen Verhältnis mit Russland ermöglichen.
In diesem Zusammenhang könnte endlich der Blick auf die große historische Leistung von Michail Gorbatschow freiwerden – die nicht nur darin besteht, dass die Ost-West-Konfrontation von ihm politisch beendet worden ist. Sondern auch, dass dieses Ende die große Chance für die Menschheit bedeutet hatte, sich von der Bedrohung der atomaren Selbstvernichtung zu befreien. Es wäre darüber hinaus auch der Beweis, dass der Traum von Frieden und Verständigung keine Utopie bleiben muss. Der Beweis dafür, dass wir tatsächlich wählen können, und dass der Krieg bis zum Ende unserer Geschichte nicht unser Verhängnis ist.
Wie dankbar waren wir Michail Gorbaschow für den Fall der Mauer. Für sein wahres Vermächtnis hat sich allerdings bis heute kein Bewusstsein ausgebildet. Gäbe es dieses Bewusstsein, und würde dadurch die tatsächliche historische Leistung Michail Gorbatschows erkannt und gewürdigt werden, dann wäre das Verhältnis zu Russland heute sicher ein völlig anderes. Und die Russen würden sich mit dem Respekt behandelt fühlen, den sie derzeit so sehr vermissen.
Zugleich ließe sich Putin damit vor die Frage stellen, wie er zu der Grundüberzeugung von Michail Gorbatschow steht, dass die Politik in unserem 21. Jahrhundert nicht mehr die des 19. und des 20. Jahrhunderts sein dürfe.
Ronald Reagan hat bei den Abrüstungsgesprächen Michail Gorbatschow im Sinn eines Gedankenspiels gefragt, ob man sich im Fall einer einmal angenommenen tödlichen Bedrohung der Erde von außerhalb zusammenschließen würde.
Es ist eine interessante Frage. Und es gilt dabei zu erkennen, dass wir es tatsächlich mit einer gemeinsamen Herausforderung zu tun haben – die allerdings nicht von außen kommt. Die Einsicht, dass es in dem Moment der Geschichte, in dem wir stehen, vom alten Gegeneinander zu einem globalen Miteinander kommen muss, ist die Bedingung unseres Überlebens.
Wäre es für die Friedensbewegung nicht an der Zeit, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, welche Chance dieser historische Auftritt von Michail Gorbatschow für die Menschheit bedeutet hat? Eine Chance, an die bei dem entsprechenden politischen Willen, auch wieder angeknüpft werden könnte…