Mikrokredite bzw. Minikredite erfreuen sich in Deutschland eines hervorragenden Rufs. Sie gelten seit mehr als 30 Jahrzehnten als das Allheilmittel in der Entwicklungshilfe. Aber auch innerhalb der Bundesrepublik stehen sie hoch im Kurs. Sie sollen beispielsweise kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) helfen, Finanzierungsengpässe zu überwinden oder erfolgreich in den Markt einzusteigen. In Berlin vergibt deshalb die landeseigene Förderbank IBB neuerdings Mikrokredite auch an Flüchtlinge.
Fast zwangsläufig ergeben sich einige Fragen: Wieso werden Mikrokredite dann nicht noch viel häufiger vergeben? Gibt es eine Schattenseite, die weniger bekannt ist?
Ein erster Ansatz: Was sind eigentlich Mikrokredite?
Ein erstes Problem ist, dass Mikrokredite nicht allgemeingültig definiert sind. Laut Mikrokredit24.net handelt es sich beispielsweise um Darlehen in Höhe von 100 bis zu 3000 Euro, die kurzfristig (bis zu 180 Tage) vergeben werden. Grundsätzlich stehen sie jedem offen.
Die EU, die über Mikrokredite „die Gründung oder den Ausbau von Unternehmen stimulieren“ möchte, sieht es ganz anders. Sie versteht als Mikrokredite alle Darlehen, „die Personen zur Verfügung stehen, die keinen Zugang zu klassischen Bankprodukten haben.“ Die Summe muss zudem kleiner als 25.000 Euro sein.
Private Finanzdienstleister und staatliche bzw. supranationale Geldgeber haben also eine grundsätzlich andere Definition davon, was eigentlich Mikrokredite sind. Dies führt offenbar zur Verwirrung. Nirgendwo sonst auf der Welt werden so wenig Mikrokredite vergeben wie in Westeuropa. Und dies, obgleich die EU diese Form der Finanzierung ausdrücklich als eines der Werkzeuge lobt, um die Ziele der Union zu erreichen.
Mikrokredite lohnen sich für Banken in Deutschland nicht
Neben die Verwirrung bei potenziellen Darlehensnehmern tritt das Problem, dass sich Mikrokredite für private Geldgeber in Deutschland (Europa) fast nicht lohnen. Der Zinsertrag wird dem Aufwand nicht gerecht. Für Unternehmen sind private Geldgeber, die vier- oder fünfstellige Beträge benötigen, nicht interessant. Die Zinsen von staatlichen Förderbanken sind immer besser.
Im Bereich unter 1000 Euro ist der Zinssatz nach oben durch die Gesetze gegen Wucher (§ 138BGB, § 291 StGB) gedeckelt. Dies drückt die Renditen für die Geldgeber. Als Beispiel: 1000 Euro zu 10 Prozent Zinsen würden 100 Euro pro Jahr ergeben. Für sechs Monate sinkt der Zinsertrag auf 50 Euro. Davon müssen Steuern abgeführt werden. Außerdem ist die Arbeitskraft für die Verwaltung des Darlehens zu verrechnen. Der Reingewinn lohnt sich nicht. Hinzu kommt das Risiko, dass die Rückzahlung platzt, was vor dem Hintergrund der Mini-Rendite als untragbar erscheint.
Deshalb drängen zahlreiche Banken hierzulande beispielsweise potenzielle Darlehensnehmer, lieber Sachgüter wie Immobilien oder Fahrzeuge zu finanzieren. Diese dienten wesentlich besser dem Vermögensschutz, argumentieren sie. Dies trifft zwar zu, verschweigt aber, dass es sich um eine Kreditform handelt, die häufig gar nicht gewollt wird. Zudem machen die Banken damit ein wesentlich besseres Geschäft.
Ausländische Konkurrenz drückt Mikrokreditvergabe in Deutschland
Das nächste Problem für die Mikrokreditvergabe hierzulande ist die ausländische Konkurrenz. In anderen Ländern sind keine Gesetze gegen Wucher in Kraft. Zudem werden die Darlehen in Entwicklungsländern an „Lending Groups“ vergeben. Dies bedeutet, dass nicht Einzelpersonen Darlehen erhalten können, sondern nur Gruppen von Menschen zusammen.
Dies führt für die Banken zu einem System, bei dem sie nicht verlieren können. Beispielsweise erhalten Bauern hochverzinste Mikrokredite gemeinsam. Ihr Ackerland müssen sie als Sicherheit einsetzen. Kann eine Person der Lending Group nicht zahlen, springt der Rest ein, denn sonst droht der allgemeine Verlust des Ackerlands. Die Lending Group wird also in Kollektivhaftung genommen. Deshalb existieren auch zahlreiche Erfolgsgeschichten aus der Entwicklungshilfe, die bei genauerem Hinsehen gar nicht mehr so positiv erscheinen.
Für Geldgeber ergibt es deshalb wesentlich größeren Sinn, in den ärmsten Regionen zu investieren. Sie erwirtschaften höhere Erträge und haben ein System geschaffen, dass praktisch ausfallsicher ist.
Wieso gibt es hierzulande überhaupt Mikrokredite von privaten Geldgebern?
Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: Wieso gibt es hierzulande dann überhaupt Mikrokredite von nicht-staatlichen Darlehensgebern?
Dies hat vor allem mit der Differenzierung der Anlagen zu tun, die vor allem Banken anstreben. Sie möchten ein Teil Ihres Geldes auf dem heimischen Markt anlegen und möglichst schnell wieder zur Verfügung haben, um selbst flexibel auf potenzielle Notfälle zu reagieren. Im Prinzip sind diese Darlehen eine Art kurzfristiges Festgeld für Banken.
Helfen Mikrokredite für KMUs wirklich?
Für KMUs heißt das, dass Mikrokredite von privaten Geldgebern tatsächlich nur dann eine gute Variante sind, wenn es gilt, kurzfristige Finanzierungsengpässe zu überbrücken. Es muss Klarheit herrschen, wie das Geld innerhalb von Monaten wieder zurückgezahlt werden kann. Denn eine mittel- und langfristige Perspektive besteht nicht. Durch die schlechten Marktbedingungen für private Mikrokredit-Anbieter wird sich daran auch nichts ändern.