Vergangenen Freitag hat das Parlament die größte BND-Reform in der Geschichte beschlossen. Zwei Gesetze sollen die Arbeit des Auslandsgeheimdiensts und dessen Kontrolle neu regeln. Der BND darf künftig Daten aus ganzen Telekommunikationsnetzen mit Auslandsverkehren auch im Inland komplett „absaugen“, also etwa Netzknoten wie den Frankfurter „De-Cix“ ausspähen.
Rechtliche Vorbehalte und Kritik
Im Sommer hatte der Ex-Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, die Praxis des Bundesnachrichtendiensts (BND), mithilfe selbstgezimmerter juristischer Konstrukte Internetknoten wie den Frankfurter „De-Cix“, Leitungen anzuzapfen und im großen Stil Daten abzuschöpfen, noch als „insgesamt rechtswidrig“ bezeichnet. Der Bundestag hat das Vorgehen jetzt aber legalisiert. Mit den Stimmen der großen Koalition stimmte er für einen Gesetzentwurf, der die BND-Überwachungsbefugnisse deutlich ausbaut. Die Opposition stimmte dagegen.
Heftige Kritik gegen die Verabschiedung der neuen Rechtslinien gab es vor allem von liberaler Seite. Die FDP sieht die Freiheit deutlich eingeschränkt. Die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger kündigte schon im Vorfeld des Bundestagsbeschlusses eine Klage gegen das neue BND-Gesetz an. Eine solche Verfassungsbeschwerde sei „dringend geboten“, sagte sie dem „Handelsblatt“.
„Wir beraten in der FDP konkret, wie wir eine Klage gegen das BND-Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht auf den Weg bringen.“
Der stellvertretende Bundesvorsitzende der FDP, Wolfgang Kubicki, warf der Großen Koalition ein „bedenkliches Grundrechtsverständnis“ vor. Mit dem BND-Gesetz rücke der „Überwachungsstaat ein großes Stück näher“, obwohl der Nutzen einer anlasslosen, verdachtsunabhängigen Massenüberwachung bis heute nicht erwiesen sei, sagte Kubicki der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Kubicki sagte, es sei „geradezu absurd“, dass ausgerechnet für den BND, der mit seiner Abhörpraxis öfter gegen Gesetze verstoße als alle anderen Bundesbehörden zusammen, das Grundrecht auf digitale Intimsphäre faktisch ausgehebelt werde. Nötig sei stattdessen eine effektivere Überwachung von Verdächtigen, forderte Kubicki. Dafür sei erstens mehr Personal für die Nachrichtendienste notwendig und zweitens eine bessere Vernetzung der Dienste durch ein EU-Terrorabwehrzentrum.
Kernpunkte der neuen Gesetzgebung
Unabhängige Kontrolle
Mit dem neuen externen Richter-Gremium reagiert die Koalition auf Vorwürfe, der BND habe ein unkontrollierbares Eigenleben entwickelt. Das dreiköpfige „unabhängige Gremium“ besteht aus zwei Richtern und einem Bundesanwalt am Bundesgerichtshof. Es soll vom Kanzleramt über brisante Aktionen des deutschen Auslandsgeheimdienstes informiert werden und etwa auch seine Zustimmung zu möglicher Spionage gegen Einrichtungen der Europäischen Union oder ihrer Mitgliedsstaaten geben müssen. Die Kontrolleure sollen stichprobenartig jederzeit die vom BND eingesetzten Spionage-Suchbegriffe (Selektoren) überprüfen können. In der Affäre war kritisiert worden, dass der BND zum Teil unzulässige Begriffe etwa gegen befreundete Staaten verwendet hat.
Abhöraktionen
Ausdrücklich erlaubt die Gesetzgebung Spionage gegen EU-Institutionen oder auch Mitgliedstaaten, etwa wenn es um Gefahren für die innere und äußere Sicherheit, die Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik oder um „Erkenntnisse von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung“ geht. Viele Kritiker, Datenschützer und Netzaktivisten bemängeln dies als zu schwammig und warnen davor, dass hiermit umstrittene, breit angelegte Spionageaktionen erst legitimiert werden.
Verantwortung
Anders als bisher muss das Kanzleramt auf Antrag des BND-Präsidenten oder eines Vertreters die Spionage in internationalen Telekommunikationsnetzen künftig anordnen. Damit sollen klare Verantwortlichkeiten sichergestellt werden. Früher waren auch heikle Überwachungsmaßnahmen von niedriger BND-Ebene genehmigt worden.
Wirtschaftsspionage
Ausdrücklich festgeschrieben wird, was schon gilt: Spionage mit dem Ziel von Wettbewerbsvorteilen für deutsche Unternehmen ist verboten. Es heißt aber auch, die Aufklärung von wirtschaftspolitisch bedeutsamen Vorgängen könne erforderlich sein.
Zusammenarbeit mit ausländischen Geheimdiensten
Die Kooperation mit internationalen Partnerdiensten wie dem umstrittenen US-Geheimdienst NSA wird unter bestimmten Bedingungen erlaubt. Ziele dieser Zusammenarbeit müssen demnach etwa der Anti-Terror-Kampf, die Unterstützung der Bundeswehr im Auslandseinsatz oder Informationen zur Sicherheitslage von Deutschen im Ausland sein.
Ständiger Bevollmächtigter
Weil den Abgeordneten im geheim tagenden Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestages oft Zeit für eine tiefere Kontrolle fehlt, wird das Amt eines hauptamtlich arbeitenden „ständigen Bevollmächtigten“ geschaffen. Er wird von dem Gremium eingesetzt, soll „kontinuierliche und strukturierte Untersuchungen“ anstellen und die Arbeit der verschiedenen Kontrollgremien koordinieren. Die Spitze der Unionsfraktion hat sich darauf geeinigt, dass ein Experte des Bundesinnenministeriums die Aufgabe übernimmt. Der Jurist Arne Schlatmann führt bisher die Unterabteilung Rechts- und Grundsatzangelegenheiten der öffentlichen Sicherheit im Ministerium.
„Whistleblower“, Öffentlichkeit und Information
Der Schutz für Mitarbeiter der Geheimdienste, die über Missstände informieren, soll verbessert werden. Jährlich soll es öffentliche Anhörungen des Präsidenten des Nachrichtendienstes des Bundes durch das Kontrollgremium geben. Bisher waren die Sitzungen streng geheim. Wenn die Fraktionschefs es wünschen, dürfen Mitglieder des Kontrollgremiums sie künftig informieren. Bislang waren die Kontrolleure zum Schweigen verpflichtet.
Voller Zugriff auf Internetkabel
Die Mehrheit der Abgeordneten hat klargestellt, dass der BND auch vom Inland aus mit technischen Mitteln Informationen einschließlich personenbezogener Daten aus Telekommunikationsnetzen erheben und verarbeiten kann. Voraussetzung ist, dass über die Kabel „Telekommunikation von Ausländern im Ausland erfolgt“. Eine echte Schranke hat der Gesetzgeber mit diesem Zusatz nicht eingeführt, denn im Internet mit IP-Verkehren zwischen inländischen und ausländischen Inhalten unterscheiden zu wollen, funktioniert nicht. Die Klausel bezieht sich laut Telekommunikationsgesetz auf „die Gesamtheit von Übertragungssystemen“ von „TK-Anbietern“, nicht mehr etwa nur auf einzelne Glasfaserstrecken oder sonstige Kabelverbindungen. Die bisherige Grenze, wonach der BND nicht mehr als 20 Prozent des Datenverkehrs abgreifen durfte, gibt es in dem Entwurf nicht mehr. Der Geheimdienst hatte diese bisher auch schon zu umgehen gewusst.
Mangelnde Kapazitäten als Verhinderung flächendeckender Überwachung
Eine „flächendeckende Überwachung“ sei ohnehin ausgeschlossen, heißt es in der Gesetzesbegründung, da der BND „bereits aus tatsächlichen Gründen nur einen sehr geringen Anteil der weltweiten Telekommunikation erfassen kann“. Auch dazu hatte sich der Verfassungsrechtler Papier bereits geäußert. Ihm zufolge genügt es nicht darauf zu bauen, dass derzeit „begrenzte personelle und sachliche Kapazitäten“ die BND-Spionage praktisch einschränkten. Die Befugnis zur Netzüberwachung im NSA-Stil greift bereits, wenn der Geheimdienst mit den Daten „frühzeitig Gefahren für die innere oder äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland erkennen und diesen begegnen“ könnte. Der BND soll zudem etwa an Netze heran dürfen, um die „Handlungsfähigkeit“ der Nation zu wahren oder „sonstige Erkenntnisse“ von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung zu gewinnen.
Die Kosten für die Reform belaufen sich laut Bundesregierung auf mindestens 6,5 Millionen Euro. Obwohl Sachverständige bei einer parlamentarischen Anhörung schwere Mängel in dem Gesetzentwurf der Bundesregierung ausmachten und vor „verfassungsrechtlichem Suizid“ warnten, änderte die Koalition die Vorlage nicht mehr.
Quellen
Bundestag, Handelsblatt (S. Leutheusser-Schnarrenberger), Neue Osnabrücker Zeitung (W. Kubicki), Spiegel-Online, Portal Liberal, Süddeutsche.de, Tagesschau.de, FAZ