Wahl in NRW – Bürgerrechte, Bürgerpflichten und ein indisches Restaurant

Kolumne – es lebe die Demokratie!

Herrlich, kurz nach Sechs wach‘ ich auf. Zugegeben, es war nicht so, dass ich wegen der Bedeutungsschwere des Tages nicht hätte weiter schlafen können; es war ganz profan die Sonne, ja, die Sonne, die mich geweckt hat. Ein traumhaft, wirklich traumhaft schöner Morgen.
Es trieb mich auf die Terrasse. Nicht so sehr, weil ich mich innerlich für „DEN TAG“ sammeln wollte. Nein, es ist nur so, dass ich nur auf der Terrasse rauchen darf, sagt meine Frau. Doch kaum stand ich dort, musste ich zur Kamera greifen: Die BEDEUTUNGSSCHWERE DES TAGES hatte mich eingeholt. „DER TAG“, auf den ich mich wochenlang vorbereitet hatte, war endlich angebrochen: ich sollte, so hatte man mir klar gemacht, heute STIMM- und damit SPRACHLOS werden; ja, ich sollte MEINE STIMME ABGEBEN!!!
Und wie ich nun da so stand und schaute und rauchte, kam mir doch die Frage auf: ist das, was ich da gerade erlebte, nun ein himmlicher Hinweis, auf das, was ich zu tun habe, oder ist es gar naturgewordene Symbolträchtigkeit unserer so lebenden und lebhaften Demokratie oder sehe ich vielleicht doch einfach alles, die Bilder und ihre Symbolik, das mit der Demokratie und das mit „DEM TAG“ für NRW einfach nur falsch.
Die Landeswahlordnung hatte ich mir ebenso verinnerlicht, wie die Liste der antretenden Parteien. Darunter so bedeutungsschwangere wie – ich weiß jetzt nicht mehr so ganz genau – „Die Initiative zum Schutz der Schmetterlinge“, die „Partei der vernachlässigten Männer“ oder eben auch „Die Partei für Familie, Hobby und Kleingarten“. Insgesamt über 100 Parteien wollten meine Stimme; vielleicht aber auch nur den Wahlkampffinanzierungszuschuß aus Landesmitteln, also letztendlich doch von mir – als Steuerzahler.
Und natürlich hatte ich mich mit dem Zustand in „Dem besten Land“ (Slogan WDR 4) ebenso befasst, wie mit den Positionen der über 100 Parteien zu DIESEN Fragen. Das letztere war ganz leicht, denn die WAZ, immerhin (noch) auflagenstärkste Tageszeitung hatte bereits Tage vorher mit Blick auf die antretenden Parteien getitelt:

„Das Ruhrgebiet spielt keine Rolle“.

Warum auch? Hier leben mal gerade 11 von 16 Millionen Menschen in NRW; „wat solls?“; hier leben fast genau so viele ‚Migranten‘, ‚Flüchtlinge‘, ‚Kultur-Bereicherer‘ oder wie auch immer, als im restlichen Bundesgebiet.
Vor zwei Jahren waren wir schließlich „Kulturhauptstadt Europas“; das wiegt mindestens so viel, wie der Friedensnobelpreis für die EU, die, länger als Barack Obama, im illegalen Dauerkrieg steht. NRW hat – und das ist (!!!!, und wehe Du zweifelst) ein Fortschritt unter der sonst eher „Kraft“losen Bisherregierung – die meisten Atomsprengköpfe auf seinem Territorium. Hier ist die Drehscheibe der Führung und Verlegung von NATO-Truppen in ganz EURASIEN und an die russische Grenze: Ja, Leute, endlich, WIR stehen wieder – na, gut, fast – vor den Toren Moskaus, und das alles über unsere Straßen und Schienen. Von hier aus wird der logistische und aufklärerische Beitrag zu den verbrecherischen Kriegen gegen Syrien, Libyen, Jemen, Afghanistan usw. geführt. Wir zwingen (!!!) den „bösen Russen“ dazu, einen erheblichen Teil seiner atomaren Streitmacht (die soll gar nicht so klein sein; und was, wenn die Chinesen auch noch mitmachen) auf Räume und Städte in NRW zu richten. DAS IST EIN OPFER, das wir da vollbringen, gegenüber dem Chiemseegau, Ostfriesland oder der Uckerschen Mark.
Da bleibt natürlich kaum Zeit und Raum, und schon gar nicht mal Geld für andere „Banalitäten“.

Zu diesen Banalitäten zählen so unbedeutende Fragen wie:

  • Seit 2015 Wirtschaftswachstum 0 %
  • Letzter Platz bundesweit bei Investitionen in Sachkapital und Arbeitskräfte
  • Das BIP wuchs seit 1991 um ganze 22% gegenüber 32% Bundesdurchschnitt
  • Mit 180 Mrd. EURO (180 Milliarden !!!) Schulden hat NRW ein Berg an Verbindlichkeiten aufgebaut, der größer ist, als derjenige von NS, B, BW und MVP zusammen; und dieses Jahr sollen noch 1,6 Mrd. EURO dazu kommen
  • Der Infrastrukturwandel von der Roh-, Grundstoffindustrie und Schwarzmetallurgie konnte nicht vollzogen werden
  • Die „Energiewende“ findet in NRW faktisch gar nicht statt
  • Die Armutsgefährdungsquote sowie die Kinderarmut konnte durch die „Kraft“volle Politik der SPD-geführten Landesregierung seit 2011 von 17 auf „beachtliche“ 18,6 Prozent erhöht werden – Wachstum pur
  • Wachstum auch bei den Wohnungseinbrüchen – Bundesrekord mit 52.578 registrierten Fällen in 2016 und niedrigster Aufklärungsrate
  • Was immerhin noch beachtlich ist angesichts von 16.000 gestrichenen Stellen bei der Bundespolizei seit dem Jahr 2000 und der Personalsituation bei der Polizei
  • Und auch im Bildungswesen nur „Rekordzahlen“: Bildungsniveau und Lehrer-Schüler-Verhältnis sind diametral; der „Bildungsmonitor 2016“ verortet NRW auf Platz 14 der Bundesrepublik
  • Etwa 64 Prozent erfolgreicher Absolventen von Berufsfach-, Fachober- und Fachschulen stehen fast 80 Prozent im Bundesdurchschnitt gegenüber
  • Im Land der meisten Lehr-/Ausbildungsstellen konnten z.B. 2015 gerade einmal 62 Prozent der dafür Infragekommenden in eine Ausbildung vermittelt werden.
  • Und das Land mit dem dichtesten, frequentiertesten und belasteten Netz von ÖPNV, von Bahnen, Bundesstraßen und Bundesautobahnen muss sich vom Hauptgeschäftsführer des Verbandes Spedition und Logistik sagen lassen, es liege „absolute Staatsversagen“ vor, weil das Schienennetz, die Brücken total marode seien, kommunale-, Landes- und Bundesstraßen kaum noch nutzbar sind und die Autobahnen sich zu „Schleichwegen“ entwickeln.[1]Junge Freiheit, Nr. 20/17; 12.05.2017

Selbst das ansonsten eher zurück haltende „Merkel“ bemerkte mit Blick auf NRW, dass die Bilanz „überaus enttäuschend“ sei und offensichtlich „keine Empfehlung für die Zukunft“ darstellt.[2]Junge Freiheit, Nr. 20/17; 12.05.2017

Wahltag - Zukunft gestalten
© Dr. Lothar Wanderer

Ja, ich hatte mich gut vorbereitet auf „DEN TAG“ in NRW, denn es ging um die Frage, machen wir nun „KRAFT“los weiter, oder machen wir es mit „LASCH“heit .
Klar war mir natürlich, dass sich nichts ändern wird, wenn es künftig eine Regierung der „Lasch“heit geben würde – oder, was naheliegend wäre – eine Mischung aus „Kraft“losigkeit und „Lasch“heit. Denn, schon ein kurzer Blick ins Synonym-Wörterbuch (für Schulabsolventen aus NRW zur Erklärung – Synonym steht für Gleichbedeutung. Äh‘, reicht das so?) macht deutlich: es ist völlig unerheblich, wie sich „das Kind“ zum Schluss nennt. Es bleibt alles beim alten.
Und wie ich da also so stand, auf meiner Terrasse, wegen des Rauchens – Ihr erinnert Euch, habe ich es gesehen, ganz deutlich, unmissverständlich:
Rot-Schwarz - der segensreiche Hinweis
© Dr. Lothar Wanderer

Höchstes Bürgerrecht, höchste Bürgerpflicht!

Aber genau an dieser Stelle bekam ich den ersten Würgereiz.
Wer nicht wählt, wählt die Gewählten“ – so geistert seit Monaten ein Spruch durchs Web.
Das GG sagt mir gar, meine Wahl, also meine StimmABGABE, sei höchstes Bürgerrecht und genau dieses ABGEBEBN meiner Stimme ist das Kernstück der Demokratie. Und um die Demokratie zu stärken, zu schützen und erleben zu können, sei meine StimmABGABE meine höchste Bürgerpflicht.
Das wollte ich mir auf keinen Fall entgehen lassen: Bürgerrecht und Bürgerpflicht in EINEM Gang. (dazu etwas später mehr)
Nur, was wollte mir dann der Seehofer erzählen, als er erklärte

„Wer gewählt wird, hat nichts zu sagen. Und wer etwas zu sagen hat, ist nicht gewählt worden.“

– Sagt der Seehofer; und was fang ich damit an „DEM TAG“ an?
Die Antwort auf diese Frage fand ich dann doch – oh, bitte, Verzeihung, – Gott sei Dank, in den vielen Gesprächen und Begegnungen mit Menschen, die mir erklärten, „Ich gehe nicht zur Wahl“. Und begründet haben sie es immer mit dem Satz, „man weiß ja gar nicht mehr, WEN man wählen soll“.

Das war der Schlüssel, meine Bürgerrechte, Bürgerpflichten und MEINE Interessen auf einen Punkt zu bringen:

  • Geh‘ zur Wahl, so oft wie möglich; verkaufe Deine (also MEINE) Stimme ganz oft;
  • Wähle die, die nicht gewählt werden, aber wähle;
  • Nutze diese „Demokratie“ auf ganz undemokratische Weise und bleibe dabei Deinen Bürgerrechten und Bürgerpflichten treu;
  • Nach Möglichkeit soll dabei auch „VERDIENT“ werden, wenn ich doch „STIMM-ABGABE-VIEH“ bin; denn die „STIMMABGABE“-Empfänger verdienen schließlich an MEINER Stimme.

62 Wahlbezirke hatte Gladbeck für „DEN Tag“ eingerichtet. Leider, ja, ich gebe es zu, leider, habe ich nicht für jeden Stimmbezirk eine „Wahlstimme“ – also ganz einfach, einen leidlich passenden – Wahlschein bekommen.
Das war harte Arbeit: zig-Wahlbüros mussten angefahren werden. Der Auftritt war vorbereitet inszeniert:
Eintritt: Gruß, „Hallo“, „Guten Tag“, „Glück auf“ (kam am besten an), „Moin moin“, „Und das bei diesem Wetter“, „Schön, jetzt kann ich meine Bürgerrechte wahr nehmen“ – oder in der Art.
Einführung von mir, bevor jemand zu Wort kommt: „Da draußen steht ein Wahlplakat von…, das verstößt gegen die LWO“; es entwickelt sich sofort heftiges Treiben: Beruhigende Bemerkung von mir: „Das hätte meine Wahlentscheidung eh nicht beeinflusst und sie können ja nicht überall sein“: Darauf Sympathiebekundungen der Wahlhelfer.
Nächster Schritt: Ich: „Ich hab hier ein Schreiben bekommen, da steht drin, ich soll heute hierher gehen und wählen. Können Sie mir helfen?“ Hilfsbereitschaft von allen Anwesenden. Frage von mir: „Wo geht es los?“. Es meldet sich Platz 1. Frage danach: „Was soll ich jetzt bei den anderen, die hier sitzen tun?“ Antwort: „Gar nichts“ Frage von mir: „Und warum sind die dann hier?“ Antwort: „Eigentlich sinnlos, aber die Wahlordnung schreibt das vor.“

Gang zur Wahlkabine

Frage: „Wo kann ich denn jetzt meine ganz persönliche Stimme ‚wegwerfen‘“. Nirgendwo Widerspruch. Helfende Hinweise.
Der organisierte Abgang: „Sie haben mich doch gar nicht um den Nachweis meiner Identität gebeten!“ Stereotype Antwort: „Es geht keiner zur Wahl, wenn er es nicht selbst ist, die anderen sind zu faul dazu!“
Ich: „Ich kann dann aber doch von jedem, der männlich ist und etwa meinem Alter entspricht, den Wahlzettel nutzen!“ Antwort (in fast allen Fällen): „So eine Mühe macht sich keiner; diese Fragen hatten wir heute schon ganz oft!“
Beim Rausgehen letzte Frage über die Schulter: „Die OSZE will Wahlbeobachter zur BT-Wahl entsenden; was halten Sie davon?“
Einhellige Antwort: „Unsinn!!!“

Zur Farbenlehre
© Dr. Lothar Wanderer

Für jeden Wahlschein habe ich 5 € (EURO fünf) kassiert. Bei 62 Wahlbezirken wirklich anstrengend, das bis zum Wahlschluss abzuarbeiten.
Was mich an der ganzen Sache wirklich ärgert: Ich kann leider nicht in 62 Wahlbüros anwesend sein, um zu sehen, wie MEINE STIMME an Vielzahl wächst. Schade – es lebe die Demokratie.
Für mich war es ein schöner Tag: Bürgerrecht – Bürgerpflicht – Selbstversorgung!! Demokratie 2017!
Ja, und jetzt geht es ins indische Restaurant; über dreihundert EURO stehen zur Verfügung – das habe ich mir demokratisch und damit redlich verdient.
Und danach werde ich noch einmal die Terrasse betreten. Vielleicht gibt es ja sogar zu diesem Tag ein passendes Motiv.
Schlußbild-Harmonie
© Dr. Lothar Wanderer

Anmerkung des Verfassers: DAS MÜSSEN SIE MIR ERSTMAL NACHWEISEN !!!

Quellenangaben & Fußnoten

Quellenangaben & Fußnoten
1Junge Freiheit, Nr. 20/17; 12.05.2017
2Junge Freiheit, Nr. 20/17; 12.05.2017
Dr. Lothar Wanderer
Dr. Lothar Wanderer
1955 in Leipzig geboren. Studium: politische Philosophie, Geschichte, Soziologie; Forschungsseminar Sinologie und politische Organisation des Staates und der Zivilgesellschaft; Dipl. Lehrer für politische Wissenschaften; Tätigkeiten: HS-Lehrer, Dozent an Polizeihochschule; 1991 als Polizeirat a.D. aus Polizeidienst ausgeschieden; seit dem überwiegend freiberuflich tätig; u.a. Publikationen, Vorträge, Seminare, Unternehmensberater, Kommunalpolitik. Politisch: demokratisch-Links

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